von Hans-Hermann Hochkeppel
HÖHLEN IM HÖNNETALWem es Freude macht, auf schmalen, oft versteckten Pfaden entlang der Hönne zu wandeln, der kann an Uferhängen und in Felspartien von Frühlinghausen bis Oberrödinghausen manche der ursprünglich 75 Höhlen entdecken, welche die Massenkalkformationen im mittleren Hönnetal hinterlassen haben. Ihre Eingänge gleichen nicht selten engen Schlupflöchern oder spaltartigen Öffnungen, hinter denen sich Hohlräume (Karhofhöhle), enge Gänge mit Kammern (Leichenhöhle) oder weitläufige Höhlensysteme (Reckenhöhle) ausbreiten. Von der Friedrichshöhle führen stufenweise Schächte und Klüfte in die „Hönnetaler Unterwelt“, eine erst streckenweise erforschte unterirdische Flußhöhle. Ganz anders präsentieren sich die Balver Höhle und die Feldhofhöhle. Ihre hohen Dekkengewölbe und Eingangsbereiche gleichen offenen Hallen. Von archäologischer und paläontologischer Bedeutung sind die sog. Kultur- bzw. Kulthöhlen. Allein in der Großen Burghöhle am Klusenstein wurden zigtausende Funde geborgen. Ablagerungen (Kulturschichten), tierische Relikte und Zeugnisse menschlicher Tätigkeiten spiegeln erdgeschichtliche Entwicklungen (Klima, Flora, Fauna) wider oder berichten von der kulturellen Entwicklung des homo sapiens vom Neandertaler, über den Cro-Magnon-Menschen und Rentierjäger bis zum Jetztmenschen über 100 000 Jahre. Höhlen werden erst dann wirklich interessant, wenn man ein wenig über ihre Entstehungsgeschichte und über ihren Nutzen für Menschen und Tiere im Wechsel erdgeschichtlicher Veränderungen weiß. WIE HÖHLEN ENTSTANDENVor 350 Mio. Jahren bedeckte auch das Sauerland ein flaches, warmes, sauerstoffreiches Salzmeer, ein geeigneter Lebensraum für Korallen und andere Schalentiere. An der Nordküste des Belgisch-Westfälischen Meeresarmes wuchsen zur Devonzeit ausgedehnte Korallenriffe wie heute in der Südsee heran (Barriere-Riff in Australien). Die unverwechsbaren Gehäuse aus Calcit zerrieb die Riffbrandung zu Kalkschlämmen. Auf dem Meeresgrund häuften sich ihre Ablagerungen in Jahrmillionen zu hohen Bänken, die schließlich unter thermischen Einflüssen zu Massenkalkformationen von Wuppertal über Balve bis Warstein / Brilon „versteinerten“. Das untermeerische „Gebirge“ aus Kalkstein erreichte bei Eisborn eine Stärke von 1 000 m. Mit Beginn des Tertiär vor etwa 65 Mio. Jahren setzten weltweit die Phasen der alpinischen Gebirgsbildung ein. Die tektonischen Verschiebungen der europäischen Festlandsplatte prägten auch die Oberflächengestalt der heutigen deutschen Mittelgebirge und damit des Sauerlands. Hebungen des Meeresbodens und Faltungen der Erdoberfläche führten zur Bildung von hohen Sätteln und tiefen Mulden (Balver Wald – Hönnetal). Tektonische Schübe verursachten im Felsgestein Verwerfungen, Kerbungen und Abbrüche. Besonders im homogenen Massenkalk entstanden Risse, Spalten und Klüfte unterschiedlicher Größe und Tiefe. Einige füllte die Zeit mit Lehmen oder Lockergestein aus, andere „verheilten“ durch die Bildung von Mineralien (Kalkspatadern, Quarzkristallager, Roteisenstein u.a.m.), manche jedoch weiteten ihre Hohlräume, vor allem, wenn eindringendes Oberflächenwasser erodierte oder korrodierte Kalksteinteile ausschwemmen konnte. Art, Form und Größe der Hönnetaler Höhlen wurden wesentlich von klimatisch bestimmten Einflüssen geprägt. Kaltzeiten wechselten mit Warmzeiten. Aber auch diese Klimaperioden waren starken Temperaturschwankungen unterworfen. In hochglazialen Perioden z. B. beherrschten Gletscher und Dauerfrostböden Norddeutschland (Tundren), in mäßig warmen Zeiten bedeckten Laubwälder das Sauerland. Vor etwa 2 Mio. bestimmte subtropisches Klima Flora und Fauna der heimischen Bergwelt (Steppenlandschaften, Zedernwälder). In Feuchtperioden versumpften Täler, Mulden und Auen. Vegetation und Tierwelt paßten sich den klimatischen Bedingungen an. Rentier, Riesenhirsch und Rehe bzw. Mammut, Wald- und Steppenelefant wanderten jeweils ein oder aus oder verendeten an Nahrungsmangel. Besonders regenreiche Zeiten haben die Gestalt von Höhlen verändert, wie am Beispiel der Balver Höhle verdeutlicht werden kann. Jahrtausende strömte – wenn auch periodisch – durch den sog. Einstrudelungskanal Oberflächenwasser der umliegenden Höhen und Hochebenen in das Höhleninnere. Die Wasser lösten Lockergestein und zerrieben es, schmirgelten die Seitenwänden ab und schwemmten Erosionschutt fort. Noch heute sind Schmirgel- und Schrammspuren des „Höhlenflusses“ zu erkennen. In der Zwischeneiszeiten verwandelten die Schmelzwasser vereister Bergspitzen das Hönnetal nicht selten in einen reißenden Gebirgsfluss. Die Kuppen des Balver Waldes erreichten ursprünglich eine Höhe von etwa 1 000 m. Auch der Talgrund bei Balve lag vor 800 000 Jahren erheblich höher als heute, wahrscheinlich nur wenige Meter unter dem heutigen Eingang der Balver Höhle. So konnte die Hönne bei hohem Wasserstand Lehme, Sände, Feingerölle, aber auch Tierkadaver oder Skeletteile in die Balver Höhle einschwemmen. Noch vor 150 Jahren versperrte ein 15 m hoher „Lehmberg“, der fast die Höhlendecke erreichte, den Zugang zu den hinteren Höhlenarmen. Mit Beginn warmzeitlicher Perioden vor etwa 8ooo Jahren kam auch die Balver Höhle zur Ruhe. Auf die sog. Rentierschicht (seit 10 000 v.C. verlieren sich die Spuren der Rentierjäger) tropfte kalkreiches Sickerwasser, das zu kräftigen Sinterschichten verdunstete. Sie schützten die unzähligen Fossilien jener Tiere (Fossilien), die einmal das Hönnetal bevölkerten und deren Relikte auf irgendeine Weise in die Höhle gelangten, aber auch die Zeugnisse menschlicher Tätigkeiten, d. h. Hinterlassenschaften von Horden, die auf ihren Wanderungen und Jagdzügen in der Höhle Schutz suchten. Mechanische und chemische Vorgänge (Verwitterung) ließen über Jahrmillionen aus einer Spalte oder Kluft die Balver Höhle in heutiger Größe und Gestalt entstehen. Sie sind – allerdings mit unterschiedlicher Gewichtung – auch Ursache für die Entwicklung anderer Höhlen des Hönnetales bis zu ihrer heutigen Erscheinung. FORSCHER, HOBBY- UND RAUBGRÄBERNachdem Balver Bauern und Bürger zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts auf dem Höhlenvorplatz und im Lehmberg „alte Knochen und Steinsachen“ gefunden hatten, begann sich auch die „Fachwelt“ für die Balver Höhle zu interessieren. 1815 wurde sie zum erstenmal „auf ihren Zustand hin“ untersucht, d.h. sie wurde grob vermessen. 1843 führten die Bergämter Bonn und Siegen erste Schürfungen durch. 1844 begann Bergwerksdirektor Noeggerath mit ersten Grabungen. Aber erst mit der Entdeckung des Neandertalers (1856, C. Fuhlrott) wurde die Gesamtheit und Besonderheit der Hönnetaler Höhlen zu einem festen Begriff unter Experten. Über ein Dutzend Geologen, Archäologen, Prähistoriker, Biologen, Hobbyforscher schürften oder gruben auf der Suche nach „neuen Erkenntnissen“. Aber sie waren keine Leute vom Fach nach heutigen Maßstäben. Die Graber suchten, sammelten und registrierten nur das, was für ihr Fachgebiet von Bedeutung war. Was ihr Wissensgebiet oder ihren Interessenbereich nicht unmittelbar betraf, blieb meist unbeachtet. Ihre Berichte in Fachzeitschriften und Zeitungen weckten natürlich die Neugier jener, die „alte Steine und Knochen“ für ihre Privatsammlungen brauchten oder sie sogar vermarkten wollten. Der mittelbare und unmittelbare Schaden, den die „Wühlarbeit“ der Raubgräber in Höhlen des Hönnetales anrichtete, ist nicht abzuschätzen. Eine interdisziplinäre Forschertätigkeit unter paläonthologischen Aspekten begann erst mit den Grabungen von Julius Andree (1925/26) und B. Bahnschulte (1938/39). Nach einer ergänzenden Grabung in der Balver Höhle stellte sich K. Günter 1959 die Aufgabe, alle vorliegenden Forschungsberichte kritisch zu vergleichen, zu ergänzen und zu sytematisieren. Die Ergebnisse dieser Arbeit veröffentlichte Günter 1961 und 1964. DAS SCHICHTENPROFIL DER BALVER HÖHLEUnter Einbeziehung der Arbeiten Bahnschultes stellte Günter 12 deutlich voneinander unterscheidbare Schichten fest. Die (12.) Sinterschicht aus „Tropfstein“ ist in den letzten 8000 Jahren entstanden. Weder Tierknochen noch Artefakte wurden in ihr gefunden. Als Rentier-, Bären- bzw. Mammutschicht werden Ablagerungen aus Klima- und Vegetationsperioden gekennzeichnet, in denen diese Tiere (bzw. zeitgenössische Faunen) das Hönnetal bevölkerten und dem Menschen Nahrung und Bedarfsgüter lieferten. Von besonderer Bedeutung wurden die Untersuchungen der materiellen Zusammensetzungen der einzelnen Schichten. Lehme, Sände, Gerölle und Verwitterungsschutt wurden schichtweise gesiebt, geschlämmt und auf Pollen untersucht und stratigrafisch eingeordnet. Vergleiche der Funde (Fossilien, Artefakten) mit denen anderer Regionen unterstützten zeitliche Festlegungen. Auf diese Weise konnten Alter und Herkunft der Ablagerungen, aber auch Klima und Vegetationsart der Landschaft genauer bestimmt werden. Manche bislang gültige Vorstellungen wurde bestätigt, andere mussten korrigiert werden:
DER MAMMUMT – STOSSZAHNBei Schürfgrabungen entdeckte 1938 H. Werli die Spitze eines elfenbeinernen Gebildes, das ein Jahr später Bahnschulte freilegte. In der Balver Höhle wurde der drittgrößte Stoßzahn der Welt gefunden, wie Messungen ergaben. Die Restauratoren in Münster mussten ganze Arbeit leisten, um die ursprüngliche Größe und Form des „vollkommen mürben“ und „plattgedrückten“ Fundes rekonstruieren zu können. Das Ergebnis waren Nachbildungen von 4,2 bzw. 4,4 m Länge, die in Münster und Balve zur Schau gestellt wurden. Die fossilen Orginale sind leider mit ihrer Auslagerung ein Opfer des Bombenkrieges geworden. Natürlich zerbrachen sich Experten den Kopf darüber, auf welche Weise der Stoßzahn in die Höhle gelangt sein konnte. Dass der Neandertaler Mammute jagte, in Fallgruben zur Strecke brachte, zerlegte und seine Teile nutzbringend verwertete, steht außer Zweifel. Mammutknochen und Stoßzähnen dienten ihm aber auch. als Gestänge für zeltähnliche Behausungen oder als Wetterschutz-Versteifungen vor Felsüberhängen (Apis) oder in Höhleneingängen. So liegt die Vermutung nahe, daß eine Horde den ursprünglich breiten Spalt rechts vor dem Höhleneingang mit einigen Mammutknochen und Fellen gegen Wind und Wetter zu schützen suchte und als Behausung einige Zeit nutzte. 1993 tauchten jedoch Zweifel auf, ob der Stoßzahn von einem Mammut stammt. Ihm fehlt die nach innen gewendete Krümmung der Zahnenden zu einer Art Schaufel, mit der Mammute Schneeschichten verschoben, um darunter liegende Moose und Flechten aufnehmen zu können. Entspricht die Nachbildung im Balver Museum auch nur in etwa dem Orginal, kann er nur einem Waldelefanten gehört haben, der zu Eem-Warmzeiten in heimischen Gefilden anzutreffen war. Seine nach vorne gerichteten, leicht angewinkelten Stoßzähne mussten auch als Waffe zu gebrauchen sein. KLUGE BAUERN – KLUGE STADTVÄTER ?Anfang der 30er Jahre des 19. Jh. entdeckten einige heimische Bauern den „Lehmberg“ hinter dem Höhleneingang als ergiebige Düngemittelquelle. Die Wirkung des Naturdüngers beim Aufwuchs ihrer Erzeugnisse sprach sich schnell herum. Bald beluden Landwirte aus nah und fern ihre Karren mit der wertvollen kostenlosen Höhlenerde, nachdem man den Lehm von „Steinen und Sonstigem“ gereinigt“, d. h. nicht Brauchbares fortgeworfen hatte.. Das wachsende Interesse der Landwirtschaft wussten die Balver Stadtväter bald zu nutzen. Bereits Mitte der 40er Jahren richteten sie zur Stärkung der Gemeindefinanzen eine „Höhlenkasse“ ein. Der Preis für eine Fuhre Lehm kletterte in den folgenden Jahren auf 1,50 Mark, damals ein stolzer Betrag. In wenigen Jahren war der Lehmberg abgetragen, die Sperre zum Höhleninneren aufgehoben. Tatsächlich war der Lehm mit hohen Anteilen an Phosphor, Karbonaten und Humuserde durchsetzt – Ergebnis von Verwesungsprozessen und chemischen Einwirkungen über Jahrtausende. Die Höhle war nicht nur Wohnstätte für manche größeren und kleineren Tiere, sondern auch Hort für Raubtiere, die ihre Beute in den Höhlenraum schleppten und hier fraßen. Unzählige Kadaver und Skeletteile werden aber auch eingeschwemmt worden sein. Der menschliche Anteil an der Düngemittelproduktion ist minimal. Weder Neandertalerhorden noch Rentierjägergruppen nutzten Balver Höhlen als Dauerquartiere. Das schließt nicht aus, daß sie in ihnen vorübergehend Schutz suchten, hin und wieder gejagtes Wild ausweideten und verzehrten. Manche Funde (Artefakte) lassen auf diese und andere menschliche Tätigkeiten vor und in der Balver Höhle schließen. Aus wissenschaftlicher Sicht handelten weder Bauern noch Stadtväter allzu klug. Fossilien, Keramikscherben, Werkzeuge, wahrscheinlich auch Brandspuren und Nahrungsmittelreste landeten auf dem Abfallhaufen, kullerten sozusagen den damaligen Steilhang vor der Balver Höhle hinunter. Den größten Schaden richtete die Stadt 1878/79 an. Sie ließ den sog. Virchowarm ausräumen (nivellieren), um den Höhlenhang zu einer „Terrasse“ auffüllen zu können. Das Museumsamt Olpe hat eine Bebauung des sog. Höhlenvorplatzes untersagt; es vermutet, daß im „Schuttberg“ unter der Terrasse noch bedeutende Zeugnisse der Vergangenheit verborgen sind.. DIE HÖHLE SOLLTE GESPRENGT WERDENDer zweite Weltkrieg ist an der Höhle nicht spurlos vorübergegangen. Vor der Höhle waren vorübergehend Flakgeschütze postiert. Hinter dem mit Tannengrün getarnten Eingang wurde ein Militärdepot angelegt. Der Einzug der Üerdinger Waggonfabrik als Rüstungsbetrieb für Motoren in die Balver Höhle führte zu baulichen Maßnahmen, die das bis dahin im wesentlichen naturbelassene Höleninnere und -äußere geradezu entstellte. Der Eingang wurde zugemauert, der Höhlenboden egalisiert und zur Aufnahme von Maschinen befestigt, die sog, Kapelle im Dechenarm erhielt aus Sicherheitsgründen eine hohe Beton-Steinmauer. Gefangene trieben durch den Fels einen Tunnel zum Haus Sauer, dem damaligen Verwaltungsgebäude des Betriebes. In der nun bombengeschützten unterirdischen Fabrik arbeiteten bis zu 500 russische und französische Zwangsarbeiter – vorwiegend Frauen – unter entwürdigenden Umständen. Sie waren im „Lager Sanssouci“ untergebracht. Dokumentierte Zeugenaussagen berichten von grausamen Behandlungsmethoden. Diese Fakten veranlassten die britische Militärregierung, die Sprengung der Höhle zu verfügen. Dagegen lehnten sich beherzte Bürger mit den ihnen damals zur Verfügung stehenden Mittel energisch auf. „Rettet die Höhle“ war der Titel eines Aufrufs, der das Unheil abwenden sollte. Entscheidend war jedoch eine fundierte, klug verfasste Denkschrift unter Federführung der Balver Heimwacht, in der die kulturhistorische Bedeutung der Höhle belegt wurde. Sie rüttelte sowohl die westfälische Öffentlichkeit als auch die Besatzungsmacht auf. Die Briten verzichteten auf die Sprengung. Den damaligen Amtsdirektor erreichte am 19.09. 1945 folgendes Telegramm: WIE SOEBEN DAS HAUPTQUARTIER DER MILITAERREGIERUNG MIR FERNMUENDLICH EROEFFNETE HAT HERR GENERAL ROBERTSON MIT DEM GESTRIGEN TAGE ENTSCHIEDEN DASS DIE BALVER HOEHLE NICHT GESPRENGT WIRD STOP ES WIRD ABER AUS DRUECKLICH GEBETEN VON EINER VEROEFFENTLICHUNG DIESER MITTEILUNG VORERST ABSTAND ZU NEHMEN DA DIE BRITISCHE MILITAERREGIERUNG IHRERSEITS DIE PRESSEVEROEFFENTLICHUNG IN DIE WEGE LEITET DR JOSEF BUSLY MINISTERIALRAT DAS INNERE DER HÖHLEWer den 11 m hohen Eingangsbereich durchschreitet, blickt in die mächtige Haupthalle des „Felsendomes“, die sich nach etwa 24 m in zwei Nebenarme teilt. Der linke Arm wurde nach dem bekannten Arzt und Forscher Dr. R. Virchow benannt, der hier 1870 zwei Tage grub und sammelte. Der rechte Seitenarm trägt den Namen des Oberberghauptmanns H. Dechen. Er erforschte ein Jahr später diesen Teil der Höhle mit den beiden Seitengängen. Die südliche Ausbuchtung des Dechenarmes, die sog. Kapelle, endet in einem dolinenartigen Schlot, der für die Bewetterung (Luftfeuchtigkeit; Durchzug) der Höhle von Bedeutung ist. Die Betonmauer -während des Krieges errichtet – sollte vor weiteren Einbrüchen im Schlotbereich schützen. DIE HÖHLE ALS FESTSPIELHALLEJeder Ortsteil der Stadt ist stolz auf seine Schützenhalle. Nur der Stadtkern, d. h. die „alte“ Stadt Balve, hat es nicht zu einem Bürgerhaus oder repräsentativen Festsaal gebracht. Die Erklärung ist einfach. Seit über 150 Jahren feiert die Balver Schützenbruderschaft St. Sebastian ihr Fest im „Felsendom“. An den drei Festtagen beleben Tausende trinkfeste Gäste von nah und fern die Höhle und ihren Vorplatz. Höhepunkt ist der montägliche Einmarsch des neuen Schützenkönigs unter den Klängen des „Höhlen-Einzugs-Marsches“. Diese Tradition, aber auch die geschichts- und sagenträchtige Vergangenheit der Höhle und die Großartigkeit der Deckengewölbe in festlicher Beleuchtung beflügelten Heimatfreunde, nicht nur romantische Empfindungen in Wort und Schrift zu pflegen, sondern auch zu kulturellen Taten. Bereits 1922 verstand Theodor Pröpper, später Ehrenbürger der Stadt, das „steinerne Wunder“ zu nutzen. Unterstützt von der Balver Heimwacht führte er Mysterienspiele auf, in die viele Balver Bürger als Mitwirkende einbezogen wurden. Auch nach „dem verlorenen Krieg (sollten) die unvergleichbaren Möglichkeiten der Balver Höhle als Raum für die Gestaltung des Laienspiels“ wieder genutzt werden. 1949 riefen Th. Pröpper und Hermann Wedekind die Balver Höhlenspiele ins Leben, die einige Jahre erfolgreich agierten. Diesen Gedanken belebte Weddekind 1984 neu. Der ein Jahr später gegründete Verein „Festspiele Balver Höhle“ veranstaltet seitdem Konzerte, Theater und Bühnenspiele auf hohem Niveau. Die Höhle wurde zu einem Magnet für Veranstalter und Freunde kultureller Ereignissse. Vereine und Unternehmen nutzten Halle und Nebenarme für festliche oder repräsentative Vorhaben. Die Stadt (Kreis) organisierte Sinfoniekonzerte und Jazzfestivals mit hohem Besucherzuspruch. Unter Werner Trauds Regie entwickelte sich die „Märchenwoche“ zu einem Kassenschlager. Seit 1997 kooperieren Stadt und Festspiele Balver Höhle organisatorisch und finanziell. Der Verein FBH wurde mit neuestem technischen Gerät ausgestattet, um den Besucherstrom von Frühjahr bis zum Herbst reibungslos abwickeln zu können. Dass die Höhle zu einem Kulturzentrum von überregionaler Bedeutung wurde, ist nicht nur den bedeutsamen kulturellen Angeboten heimischer Akteure zu verdanken. Die Höhle vermittelt eine besondere Atmosphäre. Die außergewöhnlich feintönige Akustik und die vielfarbigen Lichtreflexe im Kalkgestein des Gewölbes vermitteln eine Stimmung, die Besucher vergessen lässt, daß die Raumtemperatur nicht selten wärmere Kleidung empfiehlt, daß hin und wieder Sickerwasser von der Höhlendecke tropft. Veranstaltungen in der Höhle haben ihren besonderen Reiz. SICHERHEIT UND UNTERHALTUNG DER ANLAGEN Die Schützenbruderschaft St. Sebastian ist Pächter der Höhle, die im Besitz der Stadt ist. Sie vermietet sowohl die Höhle als auch das Schützenheim nebenan tageweise an Veranstalter nach Vereinbarung. Ihr obliegt aber auch, für die Sicherheit und Funktionstüchtigkeit Sorge zu tragen. Jährlich müssen dafür erhebliche Mittel aufgewandt werden.
Der hintere Teil des Dechenarms war Besuchern und Veranstaltern ein ständiger Dorn im Auge. Seit 1976 trennte ihn aus Sicherheitsgründen ein häßlicher Zaun ab. 1997 war für Bürger und Schützenbrüder ein Glücksjahr. Auf Bitten der Balver Landtagsabgeordneten Brigitte Herrmann stellte das Land NRW für die Renovierung des rechten Höhlenarmes erhebliche Mittel zur Verfügung. Den Erfolg der aufwendigen Bau- und Installationsarbeiten im Winter 1997 konnte der Vorsitzende der Schützenbruderschaft Konrad Betten am 13. April 1998 einer großen Zahl interessierter Bürger präsentieren. Der wohl schönste Teil der Höhle ist nach 20 Jahren der Öffentlichkeit wieder zugänglich. Die häßliche, von der Uerdinger Rüstungsfabrik im Krieg errichtete Beton- und Ziegelwand wurde stabilisiert und kalkfelsenähnlich nachgearbeitet.. Der sog. Schlot, ein Einbruchsloch, wurde rundum gesichert und auf eine Weise umgebaut, daß seine Öffnung eine kontrollierte Bewetterung der Höhle ermöglicht. So kann die Höhle trocken gehalten und erfolgreich beheizt werden. Echte Stalagmiten und Stalagtiten gibt es in der Höhle schon lange nicht mehr. Manchmal jedoch zaubert die Natur sie fast über Nacht neu in die Felsenhalle. Wenn nämlich im Winter nach ausgedehnten Regenfällen plötzlich starker Frost eintritt, erstarrt das tropfende Höhlenwasser zu Tropfstein ähnlichen Gebilden. Besichtigungen der Höhle außerhalb der Veranstaltungen nur für Gruppen nach Vereinbarung: Wieland der SchmiedDer Nachwelt ist manche Hönnetaler Sage, die von geheimnisumwitterten Geschehnissen aus alten Zeiten berichtet, erhalten geblieben. Die historisch und literarisch interessanteste Sage berichtet von Wieland dem Schmied, der bei zwei Zwergen im Berg Ballofa das Schmiedehandwerk erlernt haben soll. Riese Wade, Abkömmling eines seeländischen Königshauses, hatte seinen Sohn Wieland mit 9 Jahren dem berühmten Waffenschmied Mimir aus dem Hünenland anvertraut. Ihm diente auch Jung-Siegfried. Als Wade erfuhr, daß Siegfried seinen Sohn schlug und mißhandelte, holte er ihn nach drei Winter heim nach Seeland. Dort hörte er von zwei Zwergen, die im Berg Ballofa eiserne Brünnen, Schwerter und Helme, aber auch edles Geschmeide aus Gold und Silber besser zu schmieden verstanden als alle anderen. Vater und Sohn wanderten zum Berg Ballofa. Gegen eine Mark in Gold wollten die Zwerge Wieland 12 Monate lang das Schmieden lehren (Lehrgeld!). Als Wade pünktlich nach einem Jahr erschien, weigerten sich die Zwerge, Wieland freizugeben, weil er „so gut zu schmieden verstand“. Schließlich zahlten sie die „Mark Gold“ zurück, um ein weiteres Jahr über Wieland verfügen zu können, drohten aber, ihm den Kopf abzuschlagen, wenn er nicht auf den Tag genau abgeholt werde. Vater Wade – mißtrauisch geworden – verbarg beim Abschied sein Schwert in dichtem Buschwerk. Wieland sollte sich bei drohender Gefahr wehren können. Wielands Schmiedekunst übertraf bald die seiner Meister. Sie haßten ihn aus Neid. Als der Riese Wade drei Tage vor der Zeit kam, um seinen Sohn abzuholen, fand er den Berg verschlossen. Von der langen Reise ermüdet, legte er sich am Fuß eines Berghanges zum Ruhen nieder. Ein Unwetter überraschte ihn im Schlaf. Schnee, Steine und Baumstämme, die sich vom Berg lösten, begruben ihn. Später öffneten die Zwerge den Berg. Wieland fand seinen Vater vom Bergsturz erschlagen. Ihn dünkte nicht Gutes, weil der bestimmte Tag schon verstrichen war. So zog er das Schwert aus dem Busch und tötete die beiden Zwerge in ihrer Bergwohnung. Schmiedewerkzeug und Kleinodien lud er auf ein Pferd und machte sich auf den Weg in seine dänische Heimat, wo er neue Abenteuer und schicksalhafte Begegnungen zu überstehen hatte. Als Hofschmied König Nidungs erfand Wieland biegsamen scharfen Stahl. Das erste „Ganzstahlschwert“ der Welt wurde unter dem Namen „Volund“ (= Wieland) begehrte Handelsware. Wielands Lebensgeschichte ist eine Nebenhandlung der Dietrichsage, die im 13. Jh. von unbekannten altnordischen und schwedischen Autoren aufgeschrieben wurde. Die Dichter beriefen sich dabei auf altsächsische bzw. altnordische Handschriften, aber auch auf mündliche Berichte niederdeutscher Zeitgenossen, nehmen also Authentizität für sich in Anspruch. Die Texte der altnordischen Thidrekssaga (3 Fassungen) und der altschwedischen Didriks-Chronik (2 Fassungen) zu Wielands Erlebnissen in Ballofa weichen nur unerheblich voneinander ab. Die landeskundlichen Angaben stimmen mit der Wirklichkeit überein. Trotzdem sind Zweifel angebracht, daß Wieland in oder bei ballofa das Schmiedehandwerk erlernte. Die unterschiedlichen Lautungen (ballowa (Vita Lugeri), ballofa (Th A + B), kallava (Th. Mb), kallfua (Sv A) und kallaelffua (Sv B) spiegeln nur ideomatische oder gar schreibtechnische Eigentümlichkeiten wider, betreffen also die gleiche Ortsangabe. Ob es irgendwo im Hönnetal einen Berg ballofa o.ä. gegeben hat, bleibt der Spekulation überlassen. Ballofa (oder Ballowa) war im 8 / 9. Jh. offenbar der Name für einen begrenzten geographischen Raum im Hönnetal, vielleicht die Kennzeichnung der Hofanlage eines edlen Geschlechts, die auf eine Siedlung übertragen wurde. Wohnen und Schmieden in einem Berg setzt „gewerblich“ nutzbare Räume voraus. Lediglich die Große Burghöhle hätte sie bieten können, keinesfalls die Balver Höhle, die bis ins 19. Jh. der „große Lehmberg“ hinter dem Eingang versperrte. Aber in der Burghöhle wurden weder Zeugnisse noch Spuren gefunden, die auf eine Nutzung als Waffen- und Kunstschmiede schließen lassen. Andererseits bezeugen zahlreiche Aschenhalden an Hängen des Balver Waldes frühzeitliche Eisengewinnung. Von kulturgeschichtlichem Interesse ist die Frage, ob bereits in vormittelalterlichen Zeiten in Balve Metalle gewonnen und verarbeitet worden sind, ob dieser Teil der Wielandsage Wirklichkeit widerspiegelt. Sie kann nach der Auswertung der Grabungen bei Garbeck eindeutig bejaht werden. Bereits im 1 Jh. n. C. wird es im Hönnetal Bergleute, Schmelzer und Schmiede gegeben haben. Sehr wahrscheinlich nutzten schon Kelten um 500 v. C. die Erzvorkommen des Balver Umlandes und verstanden „kleinwüchsige“ Ureinwohner Metalle zu verarbeiten. Auch der ehedem gebräuchliche Begriff „Waldschmiede“ weist auf Tätigkeiten dieser Menschen abseits landwirtschaftlich genutzter Flächen hin. Die Wielandsage enthält alle klassischen Merkmale germanischer Sagas der Völkerwanderungszeit: Riesen und Zwerge, heldische Motive und außergewöhnliche Leistungen, Hinterlist und Rachegelüste; mystische Passagen und wirklichkeitsnahe Berichte. Die Lehrzeit Wielands bei den Balver Zwergen läßt sich inhaltlich drei Motivkreisen zuordnen.:
Entkleidet man diese Handlungen des schmückenden oder mystischen Beiwerks, erhalten wir Geschichten, die reale wirtschaftliche und soziale Vorkommnisse wiedergeben und die Menschen in den Übergangsphasen von der alt- zur mitteldeutschen Zeit bewegten. Erzählungen über Zwergenschicksale und berühmte Kunstschmiede werden an unterschiedlichen Orten, auch zu verschiedenen Zeiten entstanden sein. Um sie zu personalisieren benötigten der Dichter eine tragende Figur, einen heldenhaften Recken oder einen streitbaren Antihelden. Bereits die Altsage, offenbar altsächsischen Ursprungs, auf die sich die Autoren der Thidrekssaga und Didriks-Chronik berufen, war eine Kompilation mehrerer Motive zu einer schlüssigen interessanten short-story, wie sie das Volk liebte. Ob Wieland wirklich hier oder dort einmal lebte, ist ohne Bedeutung. Entscheidend ist, ob sein Handeln und Schicksal mit der Gedanken- und Gefühlswelt der damaligen Menschen korrespondierte. |
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von M. Baales
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